Das große Highlight - der Südtirol Ultra Skyrace

Ein schier endloser Kampf gegen Hitze und Müdigkeit

Es ist Samstag, kurz vor Mittag. Die Sonne hat fast ihren Höchststand erreicht und brennt mit unermüdlicher Härte auf die Südtiroler Alpen. Das Thermometer zeigt 37°C an. Gut 14 Stunden ist Chris schon fast nonstop unterwegs. 73 Kilometer und knapp 5.000 Höhenmeter hat er schon hinter sich gebracht. Über die Hälfte des Südtirol Ultra Skyrace sind schon geschafft. Doch jetzt gilt es bei brütender Mittagshitze noch mal 1.100 Höhenmeter auf einer Strecke von ca. 11 Kilometer zu überwinden. Müdigkeit und Erschöpfung machen sich breit – der permanente Wunsch des Körpers, sich endlich ausruhen und abkühlen zu dürfen.

Der wahrscheinlich extremste Berglauf in den Alpen

121 Kilometer, 7.554 Höhenmeter in hochalpinem Gelände: Das Südtirol Ultra Skyrace trägt nicht umsonst den Beinamen „extremster Berglauf in den Alpen“. Was in Wanderführern als 7-Tages-Hufeisentour in den Sarntaler Alpen vorgeschlagen wird, absolvieren die Trailrunner dabei an einem Wochenende. Die Spitzenzeit 2018 liegt bei 18:33.08 Stunden, der letzte Finisher erreicht knapp 20 Stunden später, nach 38:03.13 Stunden, das Ziel. Und wer jetzt denkt, dafür wäre er zu alt: Der älteste Teilnehmer, der das Ziel erreicht hat, ist bereits 78 Jahre!

Ein Rundweg von Bozen über das Penser Joch und zurück

Start des Südtirol Ultra Skyrace ist am Freitag, den 27.07.2018 um 20.00 Uhr in Bozen am Marktplatz. Rund 200 Männer und 20 Frauen wollen die Ultra-Distanz an diesem Wochenende überwinden. Doch nicht alle werden es ins Ziel schaffen. Am Ende dürfen nur 113 männliche und 14 weibliche Teilnehmer die Finisher-Medaille in den Händen halten. Ob Chris einer von ihnen sein wird? Am Start ist er auf jeden Fall noch zuversichtlich, dass er innerhalb der nächsten zwei Tage genau hier wieder eintreffen und seine Medaille entgegennehmen wird. „Ich war bis in die Haarspitzen motiviert, immer weiter zu laufen, egal was kommt – mit unglaublicher Unterstützung durch meine Familie.“

Bei Vollmond durch die Nacht

Los geht’s gleich nach dem Start mit schweißtreibenden 2.080 Höhenmetern auf den ersten 20 Kilometern – bei hochsommerlichen Temperaturen hilft es da auch nicht viel, dass es langsam dunkel wird. Die Luft bleibt auch nachts schwül, wie Chris bei einer kurzen Pause per WhatsApp ins Tal funkt. Doch zum Glück setzt später ein kleines Gewitter ein und verschafft den Läufern eine willkommene Abkühlung. Leider verdampft der Regen aber sofort wieder und sorgt dafür, dass die Bergluft um das Rittner Horn neblig wird und teilweise nur 10 Meter Sichtweite im Schein der Stirnlampe herrschen. Der Untergrund wird matschig und rutschig und stellt die Athleten vor weitere Herausforderungen. Jetzt ein Sturz und das Rennen ist zu Ende.

Kilometer um Kilometer erreichen sie bald schon hochalpines Gelände über der Baumgrenze. Jetzt reißt auch der Himmel auf und der Vollmond lässt die Nacht fast zum Tag werden. 40 Kilometer, knapp 7 Stunden und über 3.000 Höhenmeter hat Chris schon geschafft. Aktuell belegt er Platz 44 in der Gesamtwertung.

Doch die Strecke hat es in sich. Grobes Geröll und unwegsame Pfade lassen nur unrhythmisches Laufen zu – bei jedem Tritt ist höchste Aufmerksamkeit, Erfahrung und Technik gefragt! Mittlerweile hat sich das Teilnehmerfeld auch schon ziemlich in die Länge gezogen und Chris ist fast ausschließlich alleine unterwegs.

Belohnung für die Strapazen der Nacht

Umso intensiver ist sein Erlebnis des Sonnenaufgangs am Samstag. Mit strahlend blauem Himmel eröffnet sich Chris ein traumhafter Blick auf die Südtiroler Bergkulisse und das vor ihm liegende Tal. Kurz vor einer erneuten Stärkung am Penser Joch kann Chris den Blick schweifen lassen und den beschwerlichen Aufstieg über die bisher rund 55 Kilometer, x Stunden und über 4.000 Höhenmeter für kurze Zeit vergessen. „Dieser Ausblick war die Mühen auf jeden Fall wert!“

Nach einer Verschnaufpause werden die Kraftreserven mit Suppe, Schokolade, Bananen und einer gehörigen Portion isotonischem Getränk wieder vollgetankt, bevor es zum Scheitelpunkt des Rennens geht. Wird Chris am Ziel in Bozen eine Finisher-Medaille in den Händen halten können?

Auf Tal folgt Berg, folgt Tal

Nach dem schönsten Abschnitt der Strecke, dem Teilstück zur Ebenbergalm, muss Chris all seine vorher getankten Reserven ausnutzen, um in der Mittagshitze den Kampf gegen die schier endlosen Höhenmeter zu gewinnen. Die Gedanken drehen sich im Kreis: Weiterlaufen, egal was kommt? Aufhören? Doch was ihm letztendlich bei der Entscheidung hilft, ist natürlich neben dem harten Vorbereitungstraining auch seine jahrelange Erfahrung. Denn am Ende ist es der Kopf, der den Läufer dazu bewegt, weiterzugehen oder aufzuhören. Chris weiß, dass nach solchen Tiefpunkten wie dem beschwerlichen Aufstieg zur Alpler Nieder bei 37°C auch wieder Höhepunkte folgen und so verfolgt er die einfache Strategie: Durchhalten! Er kämpft sich Meter um Meter immer höher und erreicht schließlich den nächsten Zwischenstopp, die Hirzerhütte. 83 Kilometer, x Stunden und 6.000 Höhenmeter geschafft! Ein alkoholfreies Cola-Weizen sorgt jetzt für einen Energieschub und weckt die Lebensgeister.

„Manchmal hatte ich mir einfach eingeredet, der Weg bis hierher hat gar nicht stattgefunden und ich wäre gerade erst losgelaufen. Hatte also gar keinen Grund, müde zu sein.“

Nur noch ein Marathon

Obwohl der Großteil der Strecke jetzt bergab geht und der Weg weniger beschwerlich und leichter zu laufen ist, gibt es trotzdem immer kurze, knackige Anstiege, die den Läufern nochmal richtig Kraft und Ausdauer kosten. Mittlerweile läuft Chris aber in einer Vierergruppe und so können sie sich gegenseitig gut motivieren und bei der Stange halten. Dieser Zusammenhalt im Team steht bei den Trailrunnern über dem Konkurrenzgedanken bei solchen Wettkämpfen. Bei Einbruch der Dunkelheit folgt noch ein 1.000-Meter-Abstieg auf 5 Kilometern Distanz, der Chris noch einmal alles abverlangt. Mittlerweile pendelt er zwischen Platz 5 und 7 in seiner Altersklasse. „Das Ziel lag ja aber schon zum Greifen nah. Das gab mir das nötige Durchhaltevermögen, auch diesen Abstieg noch zu überstehen.“

Freudiger Empfang durch die Familie

Auf den letzten Metern kommt ihm seine Tochter entgegen und läuft gemeinsam mit ihm durch den Zielbogen. Die ganze Familie wartet dort sehnsüchtig auf ihren Läufer und nimmt ihn freudestrahlend in Empfang. „In diesem Moment waren alle Strapazen der letzten Stunden und 121 Kilometer auf einen Schlag vergessen.“, sagt Chris über den Moment, als er seine Finisher-Medaille überreicht bekommt.